Wie weiter mit unserer Kulturlandschaft?
VON HARTMUT KOPSCH
Die uns umgebende, vertraute Landschaft, unsere Heimat, ist eine
Kulturlandschaft, denn sie wird nicht nur von ihrer Naturausstattung, sondern
in hohem Maße auch von den Dörfern und Städten, den Schlössern
und Kirchen, den Feldern, den Straßen und Wegen, den Eisenbahnlinien
und Überlandleitungen geprägt. Alles Dinge, die der Mensch im
Laufe der Zeit in das Landschaftsbild einfügte. Naturlandschaften
entstehen seit Jahrmillionen gesetzmäßig immer nach den jeweils
am Entstehungsort herrschenden naturgegebenen Bedingungen. Ihr Schöpfer
war und ist die Natur selbst - nicht der Mensch. Heute, im zwanzigsten
Jahrhundert, existieren nur noch Reste davon, und auch denen rückt
der Mensch trotz aller Warnungen zu Leibe, etwa dem tropischen Regenwald
oder den borealen Nadelwäldern in Kanada und Sibirien. Daraus kann
ein Bumerang werden, denn es sind Landschaften, die ohne uns Menschen für
uns arbeiten, indem sie das Klima weiträumig günstig beeinflussen,
Biomasse erzeugen und Sauerstoff zum Atmen produzieren.
Der Mensch wird seßhaft
Im Stadium der Jäger und Sammler besaßen die Menschen
Steingeräte. Sie konnten damit nur unwesentlich auf die sie umgebende
Natur einwirken. Unser Gebiet war damals noch ein geschlossenes, zusammenhängendes
Waldland. Schmale Freiräume boten wahrscheinlich nur die Fluß-
und Bachauen. Erst mit Beginn der Seßhaftwerdung kommt es zu grundlegenden
Veränderungen in der Landschaft. Überall dort, wo sich Menschen
dauerhaft ansiedeln und vermehren, wird die Naturlandschaft zugunsten der
Kulturlandschaft verdrängt. Das geschah in der Vergangenheit sehr
zögerlich und allmählich. Es gab Stillstandphasen, in denen jahrhundertelang
kaum Landschaftsveränderungen sichtbar wurden, und auch Zeiten verstärkter
Siedlungstätigkeit.
Vor der letzten Jahrtausendwende waren es vornehmlich Menschen slawischer
Herkunft, die hier ihre Dörfer gründeten, Land für Felder
und Weiden urbar machten, Gräben zogen und Bachläufe zu Teichen
anstauten. Dorfnamen auf -itz, -witz, -itzsch erinnern daran. Danach setzte
im II. und 12. Jahrundert auf Veranlassung der ersten deutschen Könige
erneut eine rege Siedlungstätigkeit ein durch Menschen, die u.a. aus
Franken und Flandern hierher kamen. Dorfnamen auf -hain, -walde, -roda
entstammen dieser Zeit. Viele heute gebräuchliche Flurnamen wie Schafholz,
Butterstraße, Grenzeiche, Gerichtsbankweg, Schwedenschanze und viele
andere haben geschichtlichen Ursprung.
Hecken und Feldwege gehören in die Kulturlandschaft
Unsere Heimat, der wir uns verbunden und verpflichtet fühlen,
ist somit eine historische Kulturlandschaft und eine Einmaligkeit obendrein,
denn sie gibt es nur hier und nirgendwo sonst auf der Welt. Sie ist das
Werk hunderter Generationen!
Die Veränderungen, die diese Menschen in den vergangenen Jahrhunderten
vornahmen, hatten aus naturschützerischer Sicht gesehen keine Verarmung
der Landschaft oder gar ihre Zerstörung zur Folge. Das Gegenteil trat
ein. Sie führten zu einer erfreulichen Bereicherung. Es entstand eine
Vielzahl von Biotopen, die es vordem nicht gab. So wurden die Flurgrenzen
der einzelnen Siedlungen durch Hecken, Gehölzstreifen und Steinmauern
markiert. Um auf die Felder oder in die Nachbarsiedlungen zu kommen, entstanden
Feld- und Flurwege, später die Straßen. Die Felder waren klein
parzelliert und durch Raine begrenzt. Der Anteil der Wiesenflur war viel
größer als heute. Ganze Teichketten entstanden. Hanglagen wurden
für den Wein- und Obstbau terrassiert. Die Mauern dazu mußten
aus Feldsteinen, später aus Bruchsteinen und Lehm aufgesetzt werden.
Jedes Dorf hatte eine oder mehrere kleine Sandgruben, mitunter auch einen
Steinbruch. Kurzum, die Menschen schufen durch ihre Arbeit und Siedlungstätigkeit
eine tier- und pflanzenfreundliche Kulturlandschaft. Ihre Vielfalt verdanken
wir nicht nur dem immer-währenden Zwang, Nahrungsmittel zu produzieren
und Rohstoffe für Handwerk und Manufaktur zu gewinnen, sondern auch
den modischen Stilrichtungen der jeweiligen Epoche. Gärten, Parks
und Bauwerke zeugen davon. Die Artenvielfalt nahm zu, denn in die neu entstandenen
Lebensräume der Feld- und Wiesenflur und auch in die Dörfer und
Städte selbstwanderten Tiere und Pflanzen ein, die im Walde nicht
hätten leben können. Dazu zählen neben vielen anderen Feldlerchen,
Rebhühner, Hamster, Rauch- und Mehlschwalben, Kamille, Kornblumen,
Wiesenschaumkraut. Der Artenverlust, wenn wir an die Ausrottung einiger
Großtiere wie Wolf, Luchs, Braunbär und Wisent denken, war äußerst
gering.
In Steinbrüchen und Sandgruben leben Pflanzen und Tiere
In den letzten zwei Jahrhunderten nahm die Bevölkerung rapide
zu. Die vorhandenen Siedlungen wuchsen an. Auch Ballungsgebiete entstanden.
Städte und Dörfer vergrößerten sich auf Kosten der
sie umgebenden Flur. Viele Entdeckungen und Erfindungen führten zur
Entwicklung der Technik und damit zum Entstehen der Industrie. Fabrikhallen
und Fabrikschornsteine wurden zu neuen Landschaftselementen. Der Rohstoffbedarfvergrößerte
sich. Begehrte Rohstoffe, die die Natur in unserem Raum entstehen ließ,
sind die ca. 250 Millionen Jahre alten landschaftsprägenden Porphyrberge
und die Kies- und Sandablagerungen im Eiszeitalter. Zunächst entwickelte
sich die Steinindustrie nur langsam. Hammer und Meißel waren die
einzigen Werkzeuge. Steinbrüche wurden erschlossen und wieder aufgelassen.
Sie füllten sich mit Wasser und stellen heute eine wertvolle Bereicherung
der Landschaft dar. Als Beispiel sei der recht kleine, aber alte Bruch
auf der bekannten, 231 Meter hohen Deditzhöhe südlich von Nerchau
genannt. Seine Steilwände sind von der Sohle bis zur Oberkante bewaldet
und verbuscht. Auf der Sohle sammelt sich Wasser an. Bei meinen Besuchen
im Mai 1996 konnte ich 13 Vogelarten feststellen, die allesamt wahrscheinlich
hier auch brüten. Besonders bemerkenswert ist das Vorkommen der Nachtigall.
Es handelt sich bei allen um Arten, die ohne die Schaffung dieses Sekundärbiotops
auf der Deditzhöhe nicht vorkommen könnten. Bedauerlich nur,
daß auch hier Naturbarbaren ihren Müll verkippt haben. Auch
die einstigen Sandgruben, die fast alle vermüllt wurden, stellten
wertvolle Lebensräume für Eidechsen und Uferschwalben dar. Wir
sehen: So wie der Mensch Lebensräume stören oder zerstören
kann, ist er in der Lage -bewußt oder unbewußt -, welche zu
schaffen.
Das Tempo der Naturzerstörung wird immer rasanter
Doch was geschieht gegenwärtig mit unserer Kulturlandschaft?
Wir sehen es mit eigenen Augen: Die Veränderung, leider muß
man sagen die Zerstörung, geht in einem unerhörten Tempo vonstatten.
Und das in einem Zeitraum von nur einer Generation! Der Raum Machern -
Brandis - Beucha - Gerichshain ist dafür ein Beispiel. Hier entpuppt
sich gegenwärtig der sorglose Verbrauch wertvollen Bodens, der unwiederbringlich
ist, für „Wohnparks", Gewerbegebiete und dergleichen als „Landschaftsfresser"
schlimmster Art. Hätte es dafür nicht ebensogut in der Großstadt
Leipzig, wo es verfallene, unbewohnte Häuser in Menge und genügend
alte Industriebrachen gibt, reichlich Platz gegeben? Auch in Würzen
liegen entlang der Dresdener Straße zahlreiche Industriebrachen.
Es gibt sie eigentlich in allen Städten des Muldentalkreises. Schon
sind Pflanzen und Tiere, die in unserer Landschaft ihren angestammten Lebensraum
besaßen, verschwunden. Flieht eines Tages auch der Mensch dem Beton?
Die Wochenendsiedlungen in der Nähe von Wald und Wasser sind ein deutliches
Zeichen dafür.
Die gravierenden Fehler der Melioration
Es muß noch an die „maschinengerechte" Flurmelioration zu
DDR-Zeiten erinnert werden. Sie hat die letzten vorhandenen Feuchtwiesen
mitsamt ihrem Tier- und Pflanzenreichtum innerhalb weniger Jahre vernichtet.
Gräben und ganze Bachläufe verschwanden in Rohre. Aus vielen
Feldern mit unterschiedlichen Kulturpflanzen entstanden Riesen-Monokulturen.
Das hatte zur Folge, daß die ökologisch so wertvollen Feldwege,
Flurgehölze und Raine bis auf geringe Reste beseitigt wurden. Weithin
ausgeräumte Fluren sind das traurige Resultat!
In den riesigen Mais- und Getreidewüsten ohne Wildpflanzen
können Feldlerchen, Kiebitze und Rebhühner nicht mehr leben.
Diese Arten befinden sich deshalb in starkem Rückgang. Andere Tiere,
wie z.B der Hamster, sind bereits gänzlich verschwunden. Dem Feldhasen
wird es ebenso ergehen. Die Agro-Chemie hat den Verlust der Artenvielfalt
in der Kulturlandschaft mit verursacht und verursacht ihn auch heute noch
ungehindert. Sie gewährleistet zwar sichere Höchsterträge,
aber zu welchem Preis! Die „Erfindung" der „Stillegungsflächen", die
den Produkteüberschuß mindern sollen, haben leider keine positiven
Auswirkugen auf Flora und Fauna. Sie werden eher zu Fallen als zu rettenden
Inseln.
Helfen Gesetze zum Schutz der Natur?
Seit hundert Jahren gibt es in Deutschland eine Naturschutz-Gesetzgebung.
Hat man aber die bisherige Entwicklung vor Augen, so kommt man zu dem Schluß,
daß die Gesetze, die nicht schlecht waren, nur wenig Positives bewirkt
haben.
Im gegenwärtig geltenden Bundesnaturschutzgesetz vom 12. März
1987 heißt es z.B. im § 2, Abschnitt 13: „Historische Kulturlandschaften
und -landschaftsteile von besonders charakteristischer Eigenart sind zu
erhalten." Wie konnten da einige namhafte Leute überhaupt erst auf
die Idee kommen, den Thallwit-zer Park, der seine Entstehung und Anlage
der Stilrichtung des Barock verdankt und zweifellos ein historischer Landschaftsteil
ist, in einen „Vergnügungspark" vermarkten zu wollen? Im sächsischen
Naturschutzgesetz vom II. Oktober 1994 heißt es im §1, Abschnitt
6: „Bebauung soll sich Natur und Landschaft anpassen. Verkehrswege und
Versorgungsleitungen sollen landschaftsgerecht geführt und gebündelt
werden." Wird aber danach gehandelt? Bei Beachtung dieser Gesetzesvorgabe
durch die politischen Spitzenleute hätte es nie dazu kommen können,
daß heute die weithin sichtbare HEMMERLEIN-Betonruine auf der Lüptitzer
Höhe die Landschaft verunstaltet. Und dann müßten sich
nicht nur die Naturfreunde und Naturschutzverbände als „gutes Gewissen
der Nation" in Erinnerung bringen. Alle Bürger sind dazu aufgerufen,
gegen Verstöße gesetzlicher Bestimmungen auf dem Gebiete von
Landschafts- und Naturschutz zu protestieren und zu klagen.
Das Luftbild von Nitzschka mit der Mulde zeigt eine typische Kulturlandschaft
unseres Muldenlandes. Foto: Peter Kayenberg